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Martin Erich Philipp - Graphische Arbeiten 

“Alles Anachronistische ist obszön. Als (moderne) Gottheit ist die Geschichte repressiv, die Geschichte untersagt uns, unzeitgemäß zu sein. Von der Vergangenheit ertragen wir nur die Ruine, das Denkmal, den Kitsch oder das Rückwärts..., das unterhaltsam ist; wir reduzieren diese Vergangenheit auf ihre blose Signatur. Die Empfindung der Liebe ist altmodisch, aber dieses Altmodische kann nicht einmal als Schauspiel wiedereingeholt werden: die Liebe fällt nicht in die zeitliche Kategorie des Interessanten; ihr läßt sich keine historische, polemische Bedeutung unterlegen; in eben dieser Hinsicht ist sie obszön.”

Sich einer Person zu nähern, die man nicht kennt, die im Grunde genommen aus einer anderen Epoche stammt, birgt die Gefahr, Dinge zu projizieren, die genau da keinen Platz haben. Und doch habe ich mich entschieden, meiner kleinen Einführung zu Martin Erich Philipp dieses provokante Zitat aus “Fragmente einer Sprache der Liebe” von Roland Barthes voranzustellen. Dieser Text hat etwas schockierendes, auch im Bezug zu Martin Erich Philipp und gleichzeitig etwas sehr zeitgenössisches.

Martin Erich Philipp, ein hochbegabter Grafiker, der sich in einer Zeit des Umbruchs, des Krieges, der Revolution, des aufblühenden Expressionismus stilistisch am Jugendstil orientiert und sich inhaltlich in einer erotischen Welt auslebt. Da ist einer, Martin Erich Philipp, der sich einer obszönen Welt aus Leid und Verderben scheinbar versagt und laut Barthes damit möglicherweise selbst obszön wird. Dieser Gedanke hat eine beinahe tragische Komponente, die Gott sei Dank im Werk MEPH nicht sichtbar wird, bestenfalls in der Würdigung des Künstlers.

Doch weshalb entzieht sich jemand scheinbar dem Zeitgeist, verweigert sich dem Leid, der Depression, dem nationalen Pathos? Diese Frage könnte nur er selbst beantworten.

Möglicherweise handelt es sich einfach um eine kulturelle Haltung, ein etwas sentimentales und gleichzeitig höchst sympathisches Festhalten an Schönheit, Nobles und Meisterschaft. Sein heiterer, vojeuristischer Blick, der sich von der lauten Welt ins Intime richtet, der auf teilweise schmalen Grad mit großer Genauigkeit weibliche Reize zelebriert, die Anmut feiert, im Rokokogewand. In diesen wunderbar kunstvollen Radierungen manifestiert sich ein großes Können mit literarischer Anbindung. Martin Erich Philipp ist ein Meister der Linie, die virtuos, geschmeidig und unglaublich gefühlvoll Körper be- und umschreibt. Mal mehr oder weniger sparsame Schraffuren unterstützen die Sujets, gliedern die Kompositionen bis ins abstrakt-ornamentale.

Parallel dazu entstehen immer wieder Tierdarstellungen, vorallem von Vögeln. Und neben der Radierung kommt hier der Farbholzschnitt zum tragen, in einer schier unglaublichen Perfektion. Aquarellartig verdichten sich Farbschichten zu Meisterschnitten, deren sensible Differenzierung und Nuancenreichtum fernöstlichen Vergleichen standhält.

Es scheint heute so, als hat sich Martin Erich Philipp bewußt oder unbewußt seiner Zeit entzogen oder er ist einfach ein zu spät geborener. Wohl hat er dadurch nicht die Anerkennung gefunden, die seiner Meisterschaft entsprochen hätte. Unbenommen hat er uns eine Vielzahl excellenter Grafiken hinterlassen, die uns mit ihrem Reichtum verzaubern.

Jens Gussek, Galerie Kunststücke